Zu spät für Amry

(nach einem authentischen Fall in Griechenland), Erzählung 2020, Textauszug:

Später würde er darüber nachdenken. Der Moment umgibt ihn wie eine Kapsel.

Es ist Juli in Athen. Die Hitze des Tags verstärkt sich am frühen Abend zu tropischer Schwüle.

Nach dem Training der letzten Wochen sitzt der Smoking. Tarek Huda ist stolz auf seinen fitten Körper, gutfunktionierendes Instrument ist er und Kapital. In Wien war sein Name kaum aufgefallen. Man hatte ihm gesagt, er würde keinen anderen Pass brauchen. So war es auch.

Tarek Huda betritt unauffällig den festlichen Raum, erfasst Köpfe, Gesichter, Staturen in dunklen Anzügen, dicke, dünne, breite Menschenleiber, Frauen wie Männer, dazwischen das Cateringpersonal. Der Höhepunkt des Abschiedsfestes ist vorüber. Er sieht Menschen in den verstreut im Raum angeordneten Sitzgruppen in gelöster Stimmung plaudern, andere an den Fenstern stehend. Eine Stimme, eine schmale Gestalt, wenig breite Schultern, ein Antlitz, ein geübt sanft lächelnder Mund, ein nicht mehr junges Gesicht, hängende Augenlider, wie eingraviert Falten auf der hohen Stirn, seinem Gegenüber, einem feisten Mann mit Halbglatze und tief hängenden prall gewölbten Wangenbacken, in der Fensternische im Fauteuil gegenüber. Der Mann aus Istanbul, Beirut, aus Wien. Huda nähert sich dem Zielobjekt und in der Sekunde, als er es erreicht, weniger als einen halben Meter hinter ihm steht, erkennt er: Zu spät! Gegenüber bückt sich Yara Galanis, in einem schmalen schwarzen Kleid, das Haar zurückgebunden, ein Lächeln im blassen Gesicht, über den niedrigen Marmortisch, als sie dem Botschafter ein Glas reicht. Ihr Kopf hebt sich, ein Lächeln für den Gast - und für ihn. Er ist zu spät! Vernichtet, ausgebootet, erledigt, tot! Sie ist ihm zuvorgekommen, zur Sicherheit beide eingesetzt. Denn beim Auftrag davor 1981 in Österreich war etwas schiefgelaufen.

Er beobachtet, wie der Botschafter das Glas aus ihrer Hand nimmt, ihr nachsieht, sich seinem Gast zuwendet. Dieser prostet ihm zu, der heute seinen Abschied von dieser Stadt, diesem Land nimmt. Er sieht, wie der Mann das Glas an seine Lippen ansetzt, wie er trinkt, offensichtlich mit Behagen das kalte Bier trinkt, wie er seiner Frau zunickt, die ein wenig entfernt steht, ein Glas Champagner mit beiden Händen umfassend hält, aufmerksam die Gäste betrachtet, ernst, ohne Lächeln. Sie hat genug gesehen in vielen Jahren. Sie möchte nach Hause nach Wien, nur heim, wo sie sich in Sicherheit wähnt.

Huda beobachtet, wie Galanis das Tablett zurück ans Buffet bringt, wie sie zu ihm sieht, ein kaum merkbares Nicken, sich umdreht und durch eine Tür verschwindet.

Er nähert sich dem Botschafter, beobachtet ihn, wie er das Glas ein zweites Mal ansetzt, austrinkt, es am Tablett der Kellnerin abstellt, die hinzugetreten ist, nicht wahrnehmend, dass dies eine andere Frau ist, mit ähnlich blassem Gesicht und zurückgekämmten Haar im schwarzen engen Kleid wie alle, die für heute abend engagiert wurden.

Hudas Ohren nehmen das Gesprächsgemurmel wahr, seine Augen beobachten die vereinzelt stehenden Gruppen. Man wird in einen weiteren Raum zum Dinner gebeten. Zu spät! Der Der letzte Empfang des Botschafters. Nächste Woche wird sein Nachfolger aus Wien eintreffen. Der Präsident weiss, wer ihn ablösen wird. Er sieht ihn mit zwei Ministern und dessen Gattinnen unweit stehen, ebenso gutgelaunt plaudern. Die Stimmung ist heiter…….

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